Gantry 5

Die Verdammten dieser Welt: Blick zurück

 

7 Buchbesprechungen   Al Imfeld

 

Im Zusammenhang mit der kritischen Publikation DEAD AID von der Zambierin Dambisa Moyo weise ich sozusagen auf ein paar historische Bücher hin. Die Liste kann beliebig erweitert werden. Mir geht es um eine breite Perspektive, etwa von Frantz Fanon zu Frau Charles, vom fanatischen Dualismus bis zum egoistischen Neoliberalismus. Immer liegt viel dazwischen, und diesen Raum gilt es zu nutzen. Für Pessimismus ist kein Platz, aber auch nicht für übertriebene Hoffnung. Um zusammen zu kommen, braucht es Nüchternheit.

 

Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde. Vorwort von Jean-Paul Sartre. Deutsch von Traugott König. Suhrkamp TB 668, Frankfurt 1981 (Französisches Original 1961) 267 S.  Buch Kaufen

Die Kampfschrift entstand auf dem grausamen Hintergrund des Algerienkriegs. Fanon glaubte an die Gewalt im Befreiungsprozess; Sartre gab ihm recht. Fanon hat in diesem Buch sein als Psychologe erarbeitetes Prinzip nicht beachtet, dass er Verfolgte durch die Internalisierung mit der Zeit schrecklicher als der Verfolger wird und dass Rache und Zurückschlagen (also Krieg) nicht zur Befreiung führen. Das Buch ist ein trauriges Dokument, aus dem ein Abbild der Welt heute geworden ist.

 

Walter Rodney, How Europe Underdeveloped Africa. Introduction by Vincent Harding.. Howard University Press, Washington, DC 1982 (First published by Tanzania Publishing House, Dar es Salam 1972). 312 p.  Buch Kaufen

Ein Dokument typisch für die 70er Jahre, als man noch alles dualistisch wahrnahm, also in den Kategorien gut und böse. Geschichte spielt sich niemals so ab; Geschichte ist wie Geologie mit vielen Schichten und Überlagerungen. Europa kann es gar nicht allein gewesen sein. Man denke nur an den Sklavenhandel, der auch der Ostküste unter den Suaheli stattfand, der innerafrikanisch etwa nach Mauretanien hin, etc. stattfand. Man kann auch sehen, dass in der amerikanischen Diaspora ein anderes Afrika sowohl geografisch als auch mental entstand.

Frage: Warum haben Afrikaner nicht mehr Widerstand geleistet? Warum haben verschiedene Kleinvölker die Kolonialisten sogar herbeigewünscht? Als diese Europäer kamen, war das Häuptlingswesen bereits in den meisten Teilen korrupt. – Historisch ist Rodney jedoch ein wichtiges Buch. – Rodney stammt aus Westindien, aus Guyana.

 

Axelle Kabou, Weder arm noch ohnmächtig. Eine Streitschrift gegen schwarze Eliten und weisse Helfer. Mit einem Vorwort von Regula Renschler. (Franz. Ausgabe 91 bei l’Harmattan, Paris) Lenos Pocket 60, Basel 1999. 260 S.  Buch Kaufen

Diese Autorin stellte als afrikanische Frau den ganzen Entwicklungsvorgang in Frage. Dieses Büchlein ist ein wahrer Klassiker. Ihre Kritik kam zwar an, aber verändert hat sich wenig, denn dieser Vorgang hatte bereits Eigengesetzlichkeit erreicht. Selbst sie tauchte in einer Hilfsorganisation unter.

 

Paula Charles, Go, Josephine, go. Herausgegeben und übersetzt von Chudi Bürgi. Limmat Verlag, Zürich.1993.  239 S.  Buch Kaufen

Sie ist eine Aussteigerin aus dem Nightclub, liess den Go – go-  Tanz hinter sich und versuchte mühevoll in die pharisäische Gesellschaft der Schweiz einzusteigen. Man gab ihr kaum Chancen. Dieses Buch ist zwar rund um ein Einzelschicksal doch zeigt es um sie herum eine Gesellschaft mit einem Doppelboden auf. Das Buch scheint mir im Nachhinein ein Gleichnis dieses so mühseligen Unterentwicklung – Entwicklung- Vorgangs zu sein.

 

Peter Niggli, Nach der Globalisierung. Entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert. Vorwort von Bundesrätin Michele Calmy-Rey. Rotpunktverlag, Zürich 2004. 136 S.  Buch Kaufen

Niggli ist der Chef  von der Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud, bestehend aus Swissaid -Fastenopfer - Brot für alle- Helvetas- Caritas- Heks.. In der zum Teil sehr aggressiven Auseinandersetzung mit der Globalisierung, von vielen als Verderber von allem verurteilt versucht der Autor einen Weg dazwischen zu gehen. Wie bringt man in den bestehenden Imperialismus, in den alles privatisierenden Neoliberalismus, in die Wut um die Bushregierung  mit Irak- und Afghanistan-Krieg „andere“ Seiten hinein. Das Buch ist witzig und klar.

 

 

Beatrice Weder di Mauro, Hg., Chancen des Wachstums. Globale Perspektiven für den Wohlstand von morgen. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2008. 371 S.  Buch Kaufen

Seit dem Club of Rome wird um den Begriff und Inhalt des Begriffs Wachstums gerungen. In diesem Band werden verschiedene Stimmen eingeholt und das macht die Auseinandersetzung vielfältig und spannungsreich. Der 1. Teil fragt nach den Chancen in den Industrieländern, der 2. Teil in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Der Beitrag von Joseph Stieglitz (Nobelpreisträger) „Das Entwicklungsversprechen“ hat schon vor der grossen Wirtschaftskrise auf den Sisyphusweg hingewiesen. Es muss dem Wachstum manches vorangehen. „Entwicklung heisst, die Lebensweise von Menschen zu verändern, nicht bloss Wirtschaftssysteme zu transformieren.“ Es braucht eine Bildungs- und Beschäftigungspolitik. Stieglitz weist u.a. auf den Stellenwert der Gemeinschaft und eine gute Regierungsführung hin. Beides ist in Afrika diffus, d.h. das Klammern am Clan und nicht der Aufbau einer zeitgemässen Gemeinschaft; genauso kleben auf anderer Ebene die Potentaten an ihrer Macht,

Die „guten Nachrichten aus Afrika“ von E. Johnson Sirleaf & St. Rabelet (aus Liberia, von Weltbank geprägt) zeigen, wohin falsche Vorstellungen und Projektionen führen, denn in der grössten Armut gibt es Wachstum. Ich versteh auch nicht, wie die Autoren ein „wesentlich verbessertes makroökonomisches Management“ feststellen wollen. Selbst die Schuldenanalyse führt von der heutigen Lage aus gesehen zu total falscher Aktivität (wie bekannt von IWF/WB). Da gibt der Beitrag von John Mukum Mbaku, aus Kamerun, in Utah USA, bessere Anregungen. Appelle und Perspektiven helfen wenig, wenn schon die Grundlagen in Bezug zu Afrika nicht stimmen.

 

Al Imfeld, Die Entwicklung. In der Reihe Die Gesellschaft, Hrsg. Martin Buber. Neue Folge 3, Hrsg. Hans Diefenbacher. Metropolis-Verlag, Marburg 2008. 156 S.  Buch Kaufen

„Es geht darum, dass Entwicklung ins Grosse und Ganze eingebettet wird, und dass von den Beteiligten abgewogen, nach Maß, maßvoll, zurückhaltend und stets mit einem Blick in die Zukunft gehandelt wird. Das ist wohl der tiefste Sinn der Nachhaltigkeit.“ Entwicklung kann weder mit Gewalt noch aus Wiedergutmachung heraus tiefgreifend betrieben werden. Entwicklung ist etwas anderes als Wohltätigkeit und Nächstenliebe; sie greift Strukturen an und versucht sie humaner und sozialer zu gestalten.

 

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Sept. 2009