Trotzdem leitet Belgien GEO-Graphics ein
Einstimmung
Seit dem 30. Mai 2010 dauert bereits Visionary Africa in Brüssel und dauert nur bis zum 26. September. In dieser Zwischenzeit finden 9 Ausstellungen – 4 im Centre for Fine Arts, 5 im Royal Museum for Central Africa - und 20 Konzerte und Performances in der exkolonialen Hauptstadt statt. Ab 1. Juli übernahm Belgien den EU Vorsitz, am 30. Juni wurde die 50jährige Unabhängigkeit des Kongo pompös gefeiert. Man fragt sich aus Distanz: Warum eine solche Überhäufung? Warum alles auf einmal und dann wieder lange nichts mehr? Ist das ein Zeichen des Schuldigen und Immer-noch-Schuldigen, der verwirrt und ratlos ist; alles massiert und dann nachher trotzdem fragt, warum diese Schuld als Schatten nicht verschwindet? Warum ist es so schwer, in den (heuchlerischen) Zustand der Unschuld hinüberzuwechseln?
Dabei tut man so, als würde eine „gute, alte Zeit“ beschworen. Es wird sogar in der Presse gefragt, ob dieser damalige Leopold II. nicht doch ein Visionär und Held war und entschuldigt sich damit, dass all das Negative, das man ihm vorwerfe, eben gang und gäbe in jener Zeit war, Tradition sozusagen, und „die anderen“ es auch gemacht hätten, und dass man endlich vergessen solle.
Hat man deshalb eine solche Massierung und Opulenz betrieben? Um dann sofort wieder auf die Schengener Mentalität zurück zu fallen mit der Warnung, die einstigen Untertanen ja nicht in ihr Land einzulassen und auszurufen: „Wir haben unsere Pflicht getan. Bleibt nun dort mit dem, was ihr haben wolltet!“ und auch hier wie immer iuristisch abgesichert höhnisch in den Raum zu raunen: „Das habt ihr doch selbst gewollt.“
Heute fährt man also in Brüssel wie damals in den 50er Jahren und bei der Unabhängigkeitsfeier wieder mit mythologischen amerikanischen Luxuslimousinen, Cabriolets und Coupés – nun etwas vergeistigt – vor. Luxus und Borniertheit waren einst und jetzt Geschwister. Dazu gesellt sich das Zwillingswesen von Belgien, das sich doch in allen Mythologien in ihrem Afrika fand. Zwillinge bringen nichts Gutes, so befürchtet man in afrikanischer Denkart. Ganze 14 Akademiker gab es im damals neuen Staat und zudem waren allesamt Ex-Seminaristen mit viel Komplexen. Daneben gab es das Militär mit einem knallharten Drill, den man Erziehung nannte. Stöcke und Gewehre wurden die neuen Zwillinge. Aus „goldenen Tagen“ musste ein himmeltrauriger und bitterer Blues werden.
Und was bringt die Zukunft?
Ob all dem bleibt noch immer das an die Wand geschriebene Mene Mene tekel uparsin Mahnworte wie einst im Alten Testament für den babylonischen König Belsazar, unausgelöscht. Im Hintergrund gibt es jedoch starke und kreative Kräfte der Politik zum Trotz. Aus handelt sich um Träume und Visionen nach einem neuen Globus, anderen Grenzziehungen, einer veränderten Geographie und langsam nachwirkend auf eine andere Mentalität.
Etwas davon kommt in der grossen Ausstellung GEO-Graphics an den Tag. Man bemerke den Plural und das ganz bewusst, wie der Katalog betont. Geographie darf nicht mehr von einem Punkt und einer Autorität aus betrieben werden. Es soll beachtet werden, dass zwei Kuratorinnen dahinter stehen: Anne-Marie Bouttiaux und Koyo Kouoh, die den Architekten und Städtefotographen, David Adjaye, als „Chef“ haben. Die Ausstellung bewegt sich auf drei Ebenen: die traditionelle ethnographische mit den machtvollen und wirklich überwältigenden Skulpturen aus der Vergangenheit, dann eine zweite Ebene, die (wenig überzeugenden) Fotos aus allen Grossstädten Afrikas an den Wänden (als Menetekel?) und als dritte Schleife ein Einblick in gegenwärtige Bemühungen von Kunstkreiszusammenarbeit vom Maghreb bis nach Angola. Die Spürnase dafür hatte natürlich Koyo Kouoh (Dakar), die Erfahrungen sammelte und Einblicke erhielt an den Dak’Arts und für die letzte documenta die Suche nach den afrikanischen Teilnehmern vornahm.
In grossflächigen Vitrinen stehen die ethnographischen Kunstobjekte, an der Wand die Fotos der Grossstädte und in Seitenräumen Ateliers, die um die Moderne ringen. Ein Dialog zwischen einst und heute auf 5 geographischen Flächen, Kontraste des Kontinents werden zusammengebracht. Ein terra incognita wird neu erforscht; man ist bemüht to go beyond, darüber hinaus zu gehen, über den Atlas hinaus zum Kunstwerk. Afrika wurde die Würde genommen, und um die Wiederherstellung dieser Würde geht es. Afrika muss neu erfunden werden und das kann nur mit Hilfe der Kunst geschehen.
Ein paar kritische Anmerkungen
Die einzigartigen Statuen müssen ins Historische gestellt werden, denn mit Geschichte untersteht alles dem permanenten Wandel. Nimmt man diese neue Einsicht ernst, kann keine/r mehr gelten lassen, dass, wie ewig und unvergänglich, eben a-historisch, eine Stammesbezeichnung bei der Beschriftung weiterhin so existiert, als ob es nicht Veränderungen und Einflüsse, Osmosen und Synergien immer wie – heute bereits etwas bekannt - zwischen Dogon, Bamana oder Tellem, zwischen Ashanti und Mossi, Fang und Gan, den Senufo in der Elfeinküste oder gar Puna in Gabon gegeben hat. Es gibt nichts ewig Gleichbleibendes. Von der Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes ist selbst das Bemühen dieser Ausstellung noch weit entfernt.
Die Dogon oder Serer lebten unter dem Druck des Islam. Kommt von dieser Auseinandersetzung wirklich nichts in all diesen Statuen an den Tag? Weiter: Viele dieser alten Kunstwerke entstanden wohl in der immer noch vor sich gehenden Bantuwanderung. Also muss mühsam – wenn schon historisch – an eine Datierung und Kontextualisierung heran gegangen werden. Einen Versuch hat das Rietberg Museum in Zürich mit einer neuen Datierungsmethode der Dogon-Statuen unternommen. Oder man hat von Nachbarn zur Sklavenjagdzeit einfach seine Portion geholt. Und so kam es zu in Lateinamerika sonderbaren Yoruba und Ashanti-Traditionen, obwohl die Ashanti ihr Sklaven-Kontingent von den bis heute verachteten Ewe abholten; Gleiches taten die Yoruba. Kunst schafft also sowohl neue Geografien als auch neue historische Einblicke.
Vorsicht vor allzu rascher religiöser Deutung
Von einer seriösen und multiplen Deutung dieser alten Kunst sind wir noch weit entfernt Gerade Afrikas Menschen waren realistisch genug, um sofort alles ins Religiöse abdriften zu lassen. Das Wort Fetisch sollte vorderhand unbedingt vermieden werden. Alles ist ambivalent und steht im Zeichen der Zwillinge. Wie der Beitrag über die Doppel-Axt der Yoruba eindrücklich aufklärt, war diese Kunst niemals Abbild der Natur, aber auch nicht sofort ein Bezug zu Gott oder Göttern. Afrikas Kunst war viel mehr Philosophie, weil es ja niemals um Nachahmung sondern das Begreifen der Essenz oder tiefere Einsicht ins Innere ging. Viel wichtiger waren die Ahnen. Aber da weiss einer, der aus dem schweizerischen Alpengebiet stammt, dass es rund um die Verstorbenen manche Rituale und Zeremonien, manche Erinnerungsbilder als auch Grabsteine gab, ohne dass man behaupten kann, diese Menschen hätten Götzen verehrt. Es gab im Katholischen einen wahren Armen-Seelen-Kult, den wir jedoch eher der Folklore als der Religion direkt zugesellen. Es ist so wie mit der Liebe, die erfinderisch macht, aber auch ab und zu übertreibt und anderes gar kitschig daherkommen lässt.
Zum Schluss sei warnend beigefügt, dass Afrikas Menschen grosse Schöpfer von Geschichten sind und dem Zuhörer mit dem entgegenkommt, was dieser hören möchte. Der grösste Humbug geschah mit Frobenius, dem „alte“ Geschichten und vor allem auch Schöpfungsgeschichten erzählt wurden und er diese in vielen Bänden festhielt. Ein solcher Prozess hat aber auch eine andere Seite (wie wir es selbst bei der Flüchtlingsbefragung erfahren): mit der Zeit glaubt der Erzähler seinen eigenen Geschichten; er wird ein Opfer davon.
Das Fazit: Die Ethnologie hat endlich die Grenzen zu sprengen und unbedingt Agrargeschichte hineinzunehmen. Man kann nicht Peul, Dogon und Serer gleich nebeneinander setzen. Diese Ausstellung hat zwar einen Ansatz mit ihrer Unterteilung in Maghreb, Wüste, Sahel, Savanne & Grasland, Tropen- und Feuchtwald und Gebirge & Highveld gemacht. Dazu gehörte dann aber – vor allem im Katalog – eine kurze Einführung zum gemachten Unterschied.
Schluss
Vieles gilt es aufzuarbeiten, und dieses kann nur interdisziplinär geschehen. Will man davon einiges über die Kunst versuchen, braucht es eine ganz neue Generation von Kuratoren. Es genügt nicht mehr, einfach schöne afrikanische Statuen auszustellen, selbst wenn diese reicher und vielfältiger, abwechslungsreicher und sogar sich ins Profane wagend weit vielfältiger als alle griechischen oder römischen Statuen sind. Hier manifestiert sich eine afrikanische Dimension zwischen Sacred and Profane, wovon wir Westler kaum eine Ahnung haben. Es handelt sich um die Faszination des Dazwischen. Man darf ruhig den Gigantismus und die Kontinentalität etwas verlassen, um an afrikanischen Beispielen (vor allem Skulpturen) Einblick in andere Welten, Kosmogonien, Philosophien und ganz wenig ins Religiöse (in unserem westlichen Sinn) geben. Man glaubt zu erkennen, dass auch afrikanische Menschen Schönheit geniessen.
Ein Lob für die zwei Kuratorinnen: in diese Richtung kann es gehen.
&&&
Katalog
David Adjaye’s GEO-Graphics: a map of art practices in Africa, past and present. Edited by Emiliano Battista, Anne-Marie Bouttiaux, Koyo Kouoh, Nicola Setari. BOZAR Books: Centre for Fine Arts, Brussels 2010. 382 S. EAN 97888-3661658-9
Al Imfeld, anfangs Juli 2010