- Die Kolonialisten überliessen die Schule den Missionaren; geschickt lagerten sie also das Bildungswesen aus. Anfänglich bauten die Missionare kleine Schulhäuser und lehrten die Kinder lesen, schreiben und etwas rechnen. Es waren Schulen mit drei Klassen. Eine Ausbildung bis hin zur Mittelschule fand nur für Knaben, mit dem scheinbaren Potential, einmal Priester oder Pfarrer zu werden, statt. Bis in die 1950er Jahre gab es fast nur Seminarien und kaum Mittelschulen, denn andere Berufe brauchten und wollten die Kolonialisten nicht. So waren also logischerweise die Rebellenführer sehr oft Ex-Seminaristen.
- Welche Stimmung in den Schulen herrschte, hat der erste afrikanische Roman 1956 eingefangen; er stammte vom Kameruner Mongo Beti. Titel: Le pauvre Christ de Bomba. Der Pfarrer entdeckt, dass alle Übel seiner Gemeinde, von Betrug bis zur Vergewaltigung, von der Schule ausgegangen sind; also der Sittenzerfall begann mit der Schule. Das war zwar tendenziös, einseitig, aber basierte auf einem Trugschluss, denn ohne Schule wäre Beti kaum Schriftsteller geworden, Der Roman kann als Plagiat angesehen werden oder als der literarische Kampf gegen den Kolonialismus. Aus diesem Klima schulischer Abneigung kamen Afrikas Guerillaführer. Etwas von diesem betischen Zwiespalt ist bis heute in Afrika gesamthaft präsent.
- Che Guevarra wollte auch in Afrika Revolution machen, gab jedoch ganz ernüchtert bald auf. Er stellte sehr harsch fest, dass Kongolesen und Angolaner für die Revolution unfähig seien, denn sie würden keine Disziplin kennen; zudem sei ihnen im Kampf das Amulett wichtiger als das Gewehr. Er stellt eine Schwäche für Magie und Hexerei fest.
- Im Kalten Krieg, Ende der 50er Jahre, stieg der Osten, besonders die Sowjetunion (Moskau mit der Lumumba Universität), die DDR und Bulgarien ganz besonders, in die Ausbildung zukünftiger afrikanischer Führer ein. Gesehen waren diese Studenten nirgends gerne, und sie lebten somit im Ghetto. China kam mit Afrikas Studenten nie zurecht. Klagen sowohl aus Moskau als auch aus Peking und anderen Ausbildungsstätten lauten immer wieder gleich: Immer wieder glaubten sie, afrikanische (politische) Passivität feststellen zu müssen, keine Lust zum Lernen, kein Drang zu Extraleistungen, jedoch Meister im Auswendiglernen und in der flirtenden Jagd nach Frauen.
- Robert Mugabe war, bevor er in den Kampf ging, an einer jesuitisch gegründeten Mittelschule der erste schwarze Prinzipal im damaligen Rhodesien. Er steht symbolisch für einen Nachfolger der sog. europäischen Schule, die nun ein Schwarzer übernahm. Verändert im Schulbetrieb hat er nach seiner Übernahme nichts; er soll hart und herzlos gewesen sein. Heute meint eine, die ihn kannte, Ruth Weiss, die südafrikanische Journalistin: „Ihm ging es schon damals bloss um den Posten, Schule hat ihn gar nicht interessiert.“ (Am Schweizer Radio DRS März 2009)
- Immer wieder – und das wurde zum Mythos – heisst es, dieser oder jener Rebellenführer hätte an einer prestigereichen Universität im Ausland studiert. Doch es war möglich, Fernkurse zu belegen und schriftlich Kurse mitzumachen und zu absolvieren; ohne also zuzuhören, ohne einen Lehrer; einfach das Papier, das später zählte. Die Examen waren kein Gespräch, sondern bloss ein angekreuztes Ja oder Nein. Zur Kolonialzeit war die Freizügigkeit gegeben, und es war möglich, sich an einer Universität des „Mutterlandes“ einschreiben zu lassen. Viele taten es, die Uni – befand man sich dann im Land - wurde zum Anker, von wo aus man viel reiste: man war an Kongressen, man baute sich sein Netz an Unterstützern auf und besuchte Sympathiegruppen. Sie trieben sich sehr oft herum, denn Abschlüsse (ausser erkauften) kennen wir kaum. Eine Ausnahme war Jomo Kenyatta, der wenigstens den Klassiker Facing Mount Kenya schrieb; das Buch wurde zur Bibel der Mau-Mau-Kämpfer (1952-55). Heute gibt es berechtigte Zweifel, ob er das Buch allein verfasst hat; es soll die Idee und das Lektorat seines Anthropologieprofessors gewesen sein.
- Zwei wichtige Fakten im Zusammenhang mit der Schule haben die Widerstandskämpfer Afrikas geprägt: 1. sie hatten, wie alle anderen auch, nur auswendig, aber nicht argumentieren gelernt; 2. von der eigenen Geschichte hatten sie keine Ahnung; sie lebten von Mythen.
- Zum Führer gehörte vernebelt der Mythos des Buchs, als einer Art von afrikanischer Ersatzbibel. Anfänglich im Entkolonisierungsprozess schien das Buch sehr wichtig gewesen zu sein. Wahrscheinlich war es gar nicht das Buch, sondern waren es Mythen und orale Legenden. Man denke vor allem an Kenyattas Facing Mount Kenya oder an die Gedichte von Agostinho Neto (MPLA). Man kann auch an die FRELIMO mit Samora Machel erinnern (stark beeinflusst von den protestantischen Westschweizer Missionaren). Nicht mehr die Hl. Schrift oder der Koran, nein, die eigene (afrikanische) „Schrift“: Gedichte, Mythen wie Chaka (Zulu) und Sundjata (Mandingo) wurden gepflegt. Überall kamen lokale Mythen hinzu, d.h. bestimmte koloniale Scharmützel des Widerstands wurden hochstilisiert. Ich denke an Mbuya Nehanda für Zimbabwe oder den Kampf gegen die deutsche Kolonialmacht mit den Hehe - Kriegen oder dem Maji-Maji - Aufstand in Tanzania.
- Der rhodesische ZANU Befreiungskämpfer Ndabaningi Sithole (Bachelor of Divinity, Pfarrer) bedauerte mehrere Male, dass die Befreiungstruppen mit zu vielen Dropouts von Schulen, die „völlig frustriert von der Bildung seien und bloss noch an die Weisheit des Gewehrs“ glaubten, durchsetzt seien. Wissen ist gefährlich, noch gefährlicher jedoch ist Scheinwissen. Auswendiglernen und Kopieren galten als die Stufen zur Zukunft und des Erfolgs.
- Man kann ruhig behaupten, dass die afrikanischen Befreiungsbewegungen das Resultat einer lebensfremden Schule waren. Die Kämpfer für Unabhängigkeit nahmen Bildung nicht ernst; sie konnten gar nicht, denn sie wussten niemals, was Bildung ist. Der Frust war eine Folge des sinnlosen Auswendiglernens.
- Nochmals sei es betont: Sie konnten nicht argumentieren, bloss rezitieren. Sie hatten nie vergleichen, abwägen und werten gelernt. Ganz magisch zählte das Papier des Abschlusses; was dahinter stand, war egal. Sie liebten Konferenzen und betrieben in den 50er Jahren einen Konferenztourismus (genau wie heute).
Beobachtung
Das Konzept der Schule blieb bis heute an allen Orten auf dem afrikanischen Kontinent dasselbe wie zur Kolonialzeit. Menschen gehen letztlich bloss zur Schule, um ein Zeugnis oder ein Papier zu erlangen, das man vorzeigen kann, um eventuell aufzusteigen.
Die afrikanischen Politiker von heute reden zwar viel von Schule, tun jedoch nicht viel. Die staatlichen Schulen sind in einem lamentablen Zustand, sodass ein Zeugnis von dort keinen Vorteil im Leben bringt. Also, warum zur Schule gehen? Die privaten Schulen kosten zwar ziemlich viel, doch wenn es nützt, muss die Grossfamilie einspringen oder eben auch ein Ausschluss von Mädchen. Nur wenige können sich eine Mittel- und Oberschicht leisten. Also trägt Schule zum sozialen Zwiespalt bei; sie zerreisst die Menschen.
Man übersehe jedoch nicht, dass es daneben parallel auch eine andere Schule gegeben haben muss. Wie wären sonst die vielen Dichter und Schriftsteller zu erklären?