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Warum ging eigentlich aus jeder Befreiung vom kolonialen System eine Autokratie hervor? Warum wurden die meisten Befreier Tyrannen? Für die Anführer waren alle ausser ihnen Kolonialisten. Man findet kaum je eine Differenzierung. Eine Philosophie der oder über die Befreiung gab es nicht.
- Befreiung sei wie Revolution zunächst einmal Zerstörung gefolgt von Chaos. Das ist der Grundton sowohl bei Sartre als auch bei Fanon. Above all, Liberation is a story o f chaos. (Das Zitat stammt aus einer Besprechung von Fanons Buch im Le Monde. Englisch hier, weil ich das Zitat The New York Book Review entnahm, wo es ohne Datum wiedergegeben wird.) Die Geschichte zeigt, dass nach jeder Befreiung zunächst die Zerstörung folgt. Man kann etwa an die Reformation mit dem Bildersturm denken. Es ist nachweislich vorhanden bei der chinesischen Kulturrevolution, bei den Talibanen in Afghanistan oder ganz schrecklich in Cambodja.
- Für ihre Befreiung gab es keine Menschenrechte als Grundlage. Für ihr Ziel war alles erlaubt: Einschüchterung und Erpressung Unschuldiger, Missbrauch von Frauen und Kindern. Sie haben die Rolle humanistischer Institutionen, selbst des IKRK nie begriffen und daher auch nicht geschont. Für sie war einfach alles andere in der Welt kolonial.
- Die Befreier kennen kein Recht ausser das ihres beinahe blinden Kampfs; jedes Recht ist für sie kolonial. Sie messen alles am Kolonialismus, den sie jedoch nicht analysiert, sondern bloss so oder anders erfahren haben. Selbst Völkerrecht oder Menschenrechte sind imperialistisch oder – wie bereits erwähnt - kolonial und sind verdächtig. So respektieren sie weder das Rote Kreuz noch Kirchen, etc. Es geht lange, bis ein neues Recht entwickelt wird und so ist es begreiflich, dass noch in keinem befreiten Land das „koloniale“ Recht ersetzt wurde; man übernahm unbeholfen etwas – so lange es nützlich schien – vom „kolonialen“ Recht.
- Selbst Linke und Sympathisanten sind oftmals unkritisch mitgegangen, vor allem was Kirche und Mission betraf; sie haben unbewusst den westlichen Kulturkampf und den Antiklerikalismus fortgesetzt. Man sollte ruhig mal die Rolle der Mission und Kirchen im Befreiungskampf Afrikas untersuchen. Ohne engagierte Missionare hätte es den Aufstand weder in Mocambique (evangelische Missionsgesellschaft aus Westschweiz) noch in Tansania (Kapuziner), weder in Zimbabwe (mit der Zeitung Moto, Begründer der Immenseer Missionar Michael Traber) noch in Südafrika (ich erwähne bloss 2 Gestalten: Bischof Tutu und Beyers Naudé) gegeben.
- Ihr Recht basiert auf Rache, aus der leicht Willkür hervorgeht. Man gibt zurück. Ihre Freiheit wird bald in Waffenvermehrung und Geld umgewandelt. Man greift zu Geiselnahme und Erpressung – fast wie eine Fortsetzung des sog. Befreiungskrieges.
- Das Werkzeug der Unterdrückung wird zum Mittel der Befreiung oder des Widerstandes. Sie haben nie darüber nachgedacht, dass zur Befreiung auch entsprechende Instrumente gehören. Sie bleiben bei Waffen und Folter, um „Wahrheit“ herauszupressen; sie verloren jeglichen Bezug zur Hacke oder zum Pflug. Es ist das Inhärente, das sich nicht von aussen befruchten lässt, denn alles ausserhalb ihrer Welt ist kolonial, imperial, amerikanisch. Das Lager wurde zur Welt.
- Tragisch ist es, dass sie aus der Bitterkeit bis heute nicht herauskommen. Sie landen in irgendeiner Form von Fundamentalismus. Sie möchten das Absolute, das Reine und landen im Chaos. Sie stranden in der Zerrissenheit, weil sie selbst bei sich realisieren, dass alles zu einer Lüge geworden ist. Mit Widersprüchen werden sie nicht fertig, denn Philosophen sind sie nicht.
Schlussfolgerungen aus diesem Kapitel
Menschen, ob Freund oder Feind, vor allem aber Frau und Kind, müssen geachtet werden, das wäre die Basis der Befreiung. Sie bilden die Grundlage für alle Menschen dieser Welt: das ist unter Menschenrecht zu verstehen. Ohne Ehrfurcht gibt es keine Befreiung, gerade weil das Wesen des Kolonialismus Verachtung war und ist.
Das Absolute gibt es auf Erden nicht, bloss den Widerspruch.
Nichts ist eindeutig, weder das Gute noch das Böse.
Genauso müssen auf dieser Denkgrundlage Mission und Kirchen angeschaut werden.
Die Zeit ist gekommen, differenzierter an die Konfusion heranzugehen.