Gantry 5
  1. 
Sartre wie Fanon haben an den Einsatz der Gewalt als wirksames Mittel geglaubt; sie haben noch etwas von der Kriegsmystik, die zu Beginn des ersten Weltkriegs herrschte, in sich. Für beide hat Gewalt noch immer etwas Mystisches in sich. Ein Nachdenken über Gewaltlosigkeit oder die Folgen der Gewalt gab es nicht. Über Gandhi und MLKing und ihre Gewaltlosigkeit resp. non-violent action haben sie bloss gelächelt. Auf ihren Fussspuren natürlich auch die afrikanischen Befreiungskämpfer, die letztlich Abbilder in einer abendländischen und nicht afrikanischen Kulturgeschichte sind.
    Ich habe 3 Befreiungslager im Inneren Tansanias, an der Grenze zwischen Namibia-Angola (Zambia) und Zambia (hin zu Malawi) besucht und wurde überall wegen meiner Überzeugung von der Gewaltlosigkeit ausgelacht. Ihre These lief etwa so: Hass musst du zum engagierten Kampf haben; Hass und Gewalt gehen Hand in Hand; nur so kann man erfolgreich sein. „Wer differenziert, der hat in einem Befreiungskampf nichts zu suchen“, hiess es immer wieder. Oder: „Wir sind keine Asiaten, keine Buddhisten, keine Nehrus; wir Afrikaner sind anders.“
     
  2. Ihre afrikanischen Vorfahren waren 2 Kämpfer: Sundjata, der das grosse Mali-Reich im 13. Jahrhundert begründete, galt als grausam, und der Zulu Chaka, der sein eigenes Volk aus Grausamkeit in alle Winde vertrieb. Beide historischen Gestalten wurden später mythisch verklärt; Heroen-Epen entstanden. Uns Europäern wurde versucht zu erklären, dass diese zwei grossen Persönlichkeiten Afrikas Charakter repräsentierten, an die keine andere Figur herankomme.


     
  3. Für die Gegenwart ist der grosse Übervater und ein Vorbild afrikanischer Befreiung ein Asiate, nämlich Mao Tse- tung. Doch für die meisten war Mao nichts anderes als ihre eigene Projektion; jeder schuf seinen eigenen Mao. Kein anderer Mensch seiner Zeit hat in so gewaltsamen Dimensionen ein Land befreit. Schätzungsweise 70 Millionen Tote.
     
  4. Grössere oder wirklich seriöse theoretische Auseinandersetzungen sind aus all den Lagern nicht bekannt. Zwei mir bekannte Zeugen, der eine bei der ANC im nördlichen Namibia, der andere bei der ZANU in Tansania, haben dasselbe erzählt und behaupteten, dass man „bloss Slogans gedroschen“, und „niemals gelesen“ habe. Weiter: „Wir hatten doch keine Zeit fürs Lesen. Wir hatten ja niemals Bücher im Camp.“ Und wie es mit Marx und Mao war? „Von Marx kannten wir vielleicht einen Satz über Klassenkampf oder Ausbeutung, von Mao hatten wir das Rote Büchlein auf der Toilette“ bekannte der ANC Mann.
     
  5. Amerikanische Schwarze hatten und nahmen kaum Einfluss auf die afrikanischen Befreiungsbewegungen. Es gab eine Ausnahme, und die war Kwame Nkrumah, der stark von Marcus Garvey, aus der Karibik stammend,  beeinflusst war und woher auch seine Vision eines Panafrikas kam, the Pan Negroe Movement. – Auch MLKings Bürgerrechtsbewegung hatte ausser auf Nelson Mandela kaum Einfluss. Man war einfach zu isoliert. Man, vor allem die Kommandanten im Kampf für Unabhängigkeit, war zwar viel gereist, aber es ging um Geld und Waffen. Um Selbstbestätigung, aber  sonst waren sie blind. Von Geschichte lernen war für sie irrrelevant, denn sie hatten ja keine Geschichte; sie lebten sozusagen in einem mythischen Zustand.
     
  6. Vorbildlich für afrikanische Befreiungskämpfer waren zwei Ereignisse, die eng mit zwei Persönlichkeiten verbunden: Das NON von Guinea (1958) unter Sekou Touré einerseits und der Mau- Mau -Aufstand (1952-55) angeführt von Jomo Kenyatta. Die Aufnahme war selektiv, denn beide Führer erlagen dem Verfolgungswahn – they went MAD.


     
  7. Museveni (Uganda) hat seine Magisterarbeit über „die Verwirklichung von Fanons Befreiungsthesen durch den bewaffneten Kampf der FRELIMO“ (mit Praktikum bei ihnen) geschrieben (nach Konrad Melchers). Dieser Museveni, der später Kindersoldaten einsetzt und noch immer behauptet, er möchte „den neuen Menschen kreieren“ ist eine der zwiespältigsten und zusammen mit Kaunda widersprüchlichsten Gestalten aus dem Kreis der „Befreiungspolitiker“.
     
  8. Joshua Nkomo - bei mir in Zürich (auf dem Weg nach dem CIA-Zentrum der Moralischen Aufrüstung in Caux; ich selbst war dort an einem Kurs) - sagte: „Wir brauchen keine Bücher, all we need are weapons.“ (s.u.)




Zwei wichtige Feststellungen:

Afrikaner waren nie ideologisch weder an Mao noch an Moskau interessiert; sie wollten Waffen. Ihnen war ideologisch egal, ob diese Waffen von Rechts oder Links kamen, solange sie kamen.



Auch für die westlichen Solidaritätsbewegungen interessierten sie sich bloss als Mittel zum Zweck. Um Freundschaft oder Solidarität ging es auf afrikanischer Seite nie. Europa und Europäer (d.h. alle Weissen) wurden ganz und gar unter dem Aspekt des Kolonialismus betrachtet; selbst die Do-gooders waren – wie die Missionare – Teil des kolonialen Komplexes. Alle ausser ihnen waren Kolonialisten, und alles ausser das Ihrige war kolonial.