Immer sind wir Teil davon
Mit Hinterfragen und Unterscheiden zum Einschluss
Was ist der Unterschied zwischen Wildpark und Wildnispark?
Im Wildpark und in kleinerer Form auch im Zoo haben alle Tiere ihre Freiheit: im Wildnispark gibt man Bäumen und Pflanzen und Kleintieren, die zu ihnen gehören und mit ihnen leben, von Bienen bis zu Vögeln ihre Freiheit, scheinbar so zu sein, wie sie sich wohl fühlen. Das Gelände wird umgrenzt. Eine Interaktion gibt es nur mit den Besuchern oder Betrachtern.
Ist das Wort WILD in diesem Kontext überhaupt korrekt?
Wildnis und Natur sind von Menschen geschaffene, resp. definierte Ökosysteme. Eigentlich lebt und existiert in sich nichts, das nicht mit anderen Existenzen, Vorgängen und Abläufen einen Zusammenhang hat. Es gibt diese erwähnten Inseln niemals isoliert von der Nachbarschaft oder Umwelt. Eigentlich würden wir besser von Ökotonen reden, d.h. von Systemen dazwischen. Ökotone sind Mischgebiete und entstehen zwischen relativ geschlossenen Ökosystemen. Unser Begriff eines Ökosystems ist viel zu geografisch und flächenhaft gesehen, denn alle Systeme sind interaktiv, vernetzen sich, werden angezogen oder abgestossen, sind daher interaktiv und dynamisch, Krafträumen ähnlich.
Unser jetziges System von Wildnis, Wildpark und Natur insgesamt ist menschlich und historisch bedingt und wird auch von Menschen immer wieder anders interpretiert. Es hat heute viel mit einem Hortikultur-Prinzip zu tun. Menschen schützen und pflegen eine oder mehrere Wildnis- oder auch Naturparks genannt. Eigentlich sind es Spezialgärten, daher Hortikulturen.
Die meisten Menschen nehmen an, das habe mit Natur zu tun. Doch da muss ich euch enttäuschen. Sie sind Teil unserer Kulturgeschichte. Es gibt keine von Menschen losgelöste unabhängige Natur. Menschen denken die Natur und stellen sie sich vor. Der frühere Mensch lebte mitten in ihr und schien mit allem, was ihn umgab, Teil eines Ganzen zu sein. Doch im Laufe der Geschichte kam es zu einer Trennung zwischen Land und Stadt. Die Agrikultur änderte sich; für die Städter entstand eine Hortikultur, d.h. die Menschen, die es sich leisten konnten, sehnten sich nach einem Stück Land oder einem Garten ausserhalb der oftmals schmutzigen Städte, einfach zur Erinnerung an einst.
So kam es zu zwei bis drei für die westliche Kultur typischen Gegebenheiten: von Stadtparks über Schrebergärten zu Wild- und Wildnisparks. Dazu müsste auch der Zoo gezählt werden. Sie hatten für eine bestimmte soziale Schicht viel mit einerseits Spektakel und Neugierdebefriedigung vordergründig zu tun, doch im Tiefsten spielte Nostalgie von einem mythischen Einst (in illo tempore oder Es war einmal) mit. Menschen projizierten etwas vom Garten Eden oder vom Paradies hinein und sahen und ersehnten etwas von der heilen Welt und träumten vage von etwas Unversehrtem. Alle nahmen an, dass damals Natur noch in Ordnung war. Sie dachten zurück ans heile Wilde, an zufriedene Natur, d.h. vor der Kultivierung oder Domestizierung, die nichts anderes als Nutzbarmachung für die Menschen bedeutete.
Es ist leicht begreiflich, dass solche Konzepte in Grossbritannien zur Zeit der industriellen Revolution entstanden. Eine für uns kaum mehr vorstellbare Outdoorculture entwickelte sich. Die Briten entdeckten die Berge, die Wasserfälle, sogar die Wüste. Im deutschsprachigen Raum hiess das Pendant Romantik.
Etwas von diesem Zeitgeist der Engländer schwappte über und ging in eine Kolonialkultur über. Für manche Briten bedeuteten Kolonien in bestimmten Gegenden Afrikas und speziell in Indien so etwas wie entweder Wild- oder Wildnisparks. Sie begannen sogenannt Wildes zu verzaubern. Es wurde zu einem Abbild einer harten Natur, gegen die der Mensch seinen Mann stellen musste.
Die meisten dieser Menschen, von Kolonialbeamten bis Missionaren, merkten gar nicht, dass sie Opfer wurden. Ihre Naivität oder Begeisterung machte sie blind vor dem, was eigentlich hinter ihrem Rücken geschah, eine Eroberung und Versklavung, was Kolonialismus letztlich bedeutete. Auch hier sassen die Gutmeinenden mitten drin, denn eine klare Trennung gab es selbst da nicht.
Als der Mensch begann, seine Umwelt zu kultivieren und zu zivilisieren, brachte er eine Scheidung hinein. Seit kurzem erst, wohl im Geiste der Aufklärung, sah der Mensch diese Anstrengung als Eingriff in die Natur. Einst und lange Zeit war seine Sicht eine andere: Wie lebe ich mit Tieren, Pflanzen, selbst Steinen und Sternen zusammen. Er dachte konstellativ; seit der Entwicklung des Hellenismus, den ersten Naturphilosophen, fortgesetzt im Christentum, richtig aufgebrochen in der Aufklärung, sah der Mensch sich in der Mitte. Dann wurden mehr und mehr Mensch und Natur Widersacher.
Heute sind wir scheinbar dauernd auf der Flucht und suchen neune Worte, die im Unterton alle etwas mit einer einst heilen Urwelt zu tun haben: ökologisch, biologisch, grün, frisch und hinter allem etwas von einer Welt, die nicht zu sehr kultiviert oder zivilisiert ist, etwas Wildnis, Echtes, Ursprüngliches, Gesundes. Immer mehr Menschen im Westen mit etwas Wildem, ein wenig Wildnis, die noch gesund ist.
Spürt ihr, wie wir vieles durcheinander bringen und kaum mehr merken, wenn man verschiedene Worte braucht, die letztlich dasselbe meinen, nämlich etwas mehr Überbleibsel vom Paradies.
Wir haben mehr und mehr, auch durch die Wissenschaft bedingt, alles auseinandergenommen und haben inzwischen die Sicht des Ganzen verloren.
Vielleicht ist ein solcher Wildnispark viel mehr als reine Ökologie. Vielleicht. Ja, vielleicht steht dahinter eine Kosmologie. Vielleicht wird er gar zum Mandala, zum Symbol und Mahnmal, zum Betrachtungsobjekt, um dahinter eine Welt von einem anderen oder erneuerten Zusammenleben zu sehen.
Also, der Wildnispark nicht als Flucht in ein Einst, sondern als eine Schule zur Grundlage immer wieder anderer möglichen Zukunft. Wie man einst ins Kloster ging, um wieder ganz zu werden, kann ein solcher Park eine Handreichung zum vergessenen Einschluss ins Ganze: statt nur ökologisch viel eher kosmologisch sein.
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Al Imfeld©: Umwelt
Finissage-Gedanken im Wildnispark, Sihlwald am 4. Nov. 2012