Staunen ist die beste Werbung
Die grösste Kolonialware waren die Missionare selber. Sie glaubten an den Fortschritt und schickten die Früchte der Kolonialländer nach Hause. Da staunte man in Europa und wurde gluschtig nach Zucker, Kaffee und Tee, nach Südfrüchten und Tabak.
Hinter den Kolonialisten her zogen die Missionare in alle Welt. Das war ihre Chance. Sie sahen diese Konstellation als Gottes Wille. Es gehörte schlicht und einfach zum Zeitgeist. Alle sahen es positiv, als die Chance Gottes. Eine kritische politische Analyse gab es zu jener Zeit nach Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht.
Im Westen waren die meisten Menschen davon überzeugt, dass das Abendland zusammen mit Amerika einen zivilisatorischen und kulturellen Vorsprung hatte. Die Mission war ein wichtiger Beitrag zur Aufholjagd der noch primitiven Völker im Süden. So sah man es. Am besten zu erklären mit dem philosophisch-soziologischen Begriff des Zeitgeistes, der Denkweisen und Stimmungen einer gewissen Zeit so wie eine Glocke über uns allen definiert.
Christentum als Handel
Zur abendländischen Zivilisation gehörte wesentlich der Handel. Ganz besonders bei den Protestanten kalvinistischer Prägung. So sahen die verschiedenen Westschweizer Evangelischen Kirchen, dass sich der gute Geist Gottes in einem erfolgreichen Handel zeigt. Sie betrachteten das Christentum als Fortschrittsbrücke und somit als praktizierte Nächstenliebe auf höchster Ebene. Die Missionare brachten oder schickten Kolonialwaren nach Hause. Staunen ist die beste Werbung. So wurde man in Europa gluschtig nach Zucker, Kaffee und Tee, nach Südfrüchten und Tabak, und sah «nichts anderes» dahinter. Selbstverständlich waren die Missionare bodenständig und hatten eine enge Verbindung zu den Kolonialwaren.
Die grosse Basler Mission gründete ein eigenes Handelshaus, um Kolonialwaren von der Goldküste (heute Ghana), Kamerun, aber auch Indien in die Schweiz und nach Süddeutschland zu vermitteln. (Siehe Beitrag zur Basler Mission auf Seite 10.) Missionsgesellschaften der Westschweiz standen in engem Kontakt mit den Banken in Neuenburg und Genf. Diese Banken spielten die Kredit-Vermittler im kontinentalen Sklavenhandel.
Vager Katholizismus
Bei den Katholiken blieb die Mission viel isolierter in den Köpfen und bei Taten, getrennt von Wirtschaft und Politik; dazu waren sie oft etwas naiv oder unrealistisch. Katholiken waren in der Schweiz abgeschnitten von Industrie und Banken, dennoch lebten sie von der Denkweise des Aufholens. Die katholischen Missionare stammten zudem meist aus armen bäuerlichen Kreisen, sei es in der Schweiz, Irland, Italien oder dem Baskenland.
Anders verhielt es sich bei den französischen Missionaren: Sie waren zuerst stolz auf Frankreich, dann erst folgte das Christentum; meist ging beides nahtlos ineinander über, und so wollten sie alle zu Galliern machen. Nochmals anders verhielt es sich bei den Portugiesen; die Missionare gehörten zu den armen Auswanderern, die dort, wo sie missionierten, gleichzeitig eine neue Heimat für sich aufzubauen suchten.
Die katholischen Missionare waren sehr oft weniger ausgebildet als die evangelischen. Es hiess sogar: «Selbst ein Dummer kann ein guter Missionar werden.»
Kaffeemystik
Ein schönes Beispiel eines engen Zusammenhangs von Kolonialware und Eigenem ist das Kafi des Luzerner Hinterlands. Dieser besondere Kaffee bedeutete eine Verbindung von gekochtem Wasser mit wenigen Kaffeebohnen und mit Schnaps. Dazu kam etwas «Franck Aroma», dem Kaffeeersatz aus gerösteter Zichorie.
Vor der Kolonialzeit gab es keinen richtigen Kaffee bei uns im Westen, sondern bloss Zichorie, Eicheln oder bestimmte getrocknete Wurzeln. Missionare brachten die Kaffeebohne an den Napf. Man nahm diese Bohnen wie ein Geschenk Gottes auf und benutzte für eine Kanne nur ein paar Bohnen, daher sah er so dünn und durchsichtig aus. Dazu goss man das Eigene, den Schnaps oder Träsch, das aus Birnen- und Äpfelresten gebrannte hochprozentige Bätziwasser.
Es kam zu einer sonderbaren Kaffeemystik. Die Männer konnten abends beim Kafi-Trinken durch das Glas in die Welt der Missionen blicken und nahmen dabei an ihrer Taufarbeit teil. Kaffee und Schnaps verband die Napfwelt mit der Welt der Mission.
Das erhellt, dass es bei den Kolonialwaren nicht nur um Handel ging; sie trugen manch andere Bedeutung in sich. Aus der Breite der Bedeutungen wird einsichtig, warum Mission so nahe beim Kolonialhandel stand. Mission war eins mit Zivilisation und Fortschritt, und niemand sah damals darin eine Gefahr. Der Kolonialismus hat nicht nur fremde Völker, sondern auch uns im Westen überrollt.
Vieldeutig verzwickt
Daraus lässt sich erkennen, wie verstrickt wir alle immer waren. Mit dieser Vernetzung haben wir zu leben. Selbst die Katholiken können nicht so handeln, als ginge es bloss um Gott; auch Gott wird immer wieder innerhalb der Geschichte zur Ware.
Die Frage stellte sich zwar damals nicht – heute jedoch geht es jedoch auch um Würde und Fairness bei Lohn und Preis und um Menschenwürde und Rücksichtnahme auf Natur.
Man soll nicht vorschnell von Vergehen und Schuld nur auf der einen Seite reden. Fairness kommt nur durch Beidseitigkeit zustande. Ursprünglich wollte die Basler Mission nur «etwas Gutes». Die Verantwortlichen realisierten nicht, dass ihre Handelsgesellschaft auf falschen Annahmen, aber auch einigen allzu menschlichen Menschen aufbaute. Geld verdirbt alle, einst und jetzt.
Bildlegende
Kakaoernte in einer Missionsstation an der Goldküste im heutigen Ghana. Die Sehnsucht nach Süssem verband sich mit dem «Seelenretten».
Foto: Basler Mission
Kasten mit Foto Imfeld und Buch-Cover
Buch-Tipp
Die religiöse Eroberung der Welt
Der Autor der Texte dieser Seite, Al Imfeld (*1935), lebt in Zürich und ist seit Jahrzehnten ein profilierter Journalist, Geschichtenerzähler und Theologe. Er gilt als einer der besten Afrikakenner und publizierte über 50 Bücher zu entwicklungspolitischen Themen. Im jüngsten Werk denkt er nach über die religiöse Eroberung der Welt. Die Kolonialmächte instrumentalisierten die Mission für ihre ökonomischen und politischen Interessen. «Heiden» wurden bekehrt und zu «besseren Menschen» gemacht. Al Imfeld zeigt, dass hier nicht «Ungläubigkeit» herrschte und erzählt von einer lebendigen afrikanischen Religiosität. kjr
Al Imfeld
Mission beendet
Stämpfli Verlag 2012
Gebunden, 144 Seiten, Fr. 39.–
www.alimfeld.ch
Separate Spalte mit Choco-Foto
Genuss und Sehnsucht
Schokolade verschmilzt Welten
Auch wenn ich heute selten Schokolade knabbere, weder süss geborgen daran lutsche noch sie sanft galaktisch zerrinnen lasse, trage ich in mir tiefe Kindheitserlebnisse vom Genuss, dem Sehnsüchtigen und Schönen.
Fast das ganze Jahr über lag eine Schokolade zusammen mit Mutters Schreibzeug, neben den blauen und weissen Briefbögen, den gewöhnlichen und den Airmail-Umschlägen in dieser geheimnisvollen Schublade im Stubenbuffet. Darüber war ein Ausziehbrett eingebaut, worauf meine Mutter stehend an Sonntagnachmittagen ihre Briefe der Verbundenheit an bekannte Auswanderer in Milwaukee, Kapuzinermissionare in Ifakara, Tanganjika, oder Ingenbohler- und St. Anna-Schwestern in China und Indien schrieb. Darunter ruhte also stets und still die Schokolade, von der für uns Kinder ganz selten ein vorgezeichnetes Stück als Bettmümpfeli abgebrochen wurde. Damit verliessen auch wir den Raum und schmolzen hinüber in den Traum.
Schokolade hat daher seit meiner Jugend etwas mit Träumen und Verschmelzen, mit Weltweite und Verbundenheit zu tun. Sie bietet sich an als Medizin zum Verknüpfen und Verschmelzen.
In jeder Qualitätsschokolade sind stets mindestens zwei Kontinente vereint und Nord und Süd überbrückt. Es braucht nicht nur gute Alpenmilch aus der Schweiz: ohne Kakaobohnen aus Afrika, Lateinamerika oder Asien gibt es keine Schokolade. Lange Zeit brauchten wir bei uns auch den Zucker dazu aus dem Süden, doch heute ist dieser allgegenwärtig. Die Schokolade zeigt, dass für etwas Schönes und Süsses, etwas Gutes und Gerechtes stets alle Menschen und Kontinente einbezogen werden sollten.
Aus einem Text von Al Imfeld zur Lancierung von «Mascao», der ersten Fair-Trade-Schokolade der Welt durch die claro Fair Trade AG 1991
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Al Imfeld März 2012