Gantry 5

Nach einer Holperfahrt mit Nesseln gepeitscht

Das kleine afrikanische Land Guinea Bissau, zwischen dem Atlantischen Ozean und dem grossen Guinea gelegen, hatte bis vor kurzem nicht einmal in der Hauptstadt geteerte Strassen. Und im Landesinnern gibt es zwei Strassensysteme: das eine gegen das Meer hin ausgelaugt, verwaschen, staubig, verlöchert, mit grossen ausgefahrenen Furchen; gegen Osten zu in Richtung Guinea findet sich eine Mischung von glattem Granitgestein durchmischt mit spitzigen Überresten uralten Lavagesteins. Wer hier eine richtige Strasse bauen möchte, müsste einiges sprengen.

Wer gegen Osten fährt muss selbst seine eigene Strasse finden. Meist hält man natürlich Umschau nach Spuren von Vorgängern und nimmt an, wenn es dem oder jenem geglückt ist, könnte es sicherer sein, diese Spur zu nehmen. Vielleicht haben jedoch die anderen vor uns ähnlich gedacht und wurden ins Abseits geleitet. Kurz und gut: Keiner weiss, was er genau machen und spuren soll. Die grossen Spezialisten sind selbstverständlich die Buschtaxifahrer, die Tag für Tag, hin und zurück, unterwegs sind.

Eins auf jeden Fall ist bestimmt richtig: eine solcher Trip ist holprig. Wehe dem Beifahrer und ein vielfaches Wehe dem, der auf der Ladebrücke des Peugeot- oder Toyota Pickup mitfährt. Ich habe damals nur diese zwei Marken festgestellt; vielleicht sind sie für dieses Gelände geeigneter als andere Marken.

All das muss der Leser oder Zuhörer wissen, um sich meine Qualen nach fast 6 Stunden Fahrt auf der Ladebrücke vorstellen zu können. Ich hatte Projekte des Weltfriedensdienstes ganz im Osten zu besuchen, um sie zu beurteilen, um Ratschläge zu geben, und vor allem ging es um die Frage, wie es denn in solcher Abgelegenheit, mit 6 Stunden zum Posten nach Bissau und 6 Stunden mit Einkäufen zurück, weitergehen könne. Zudem war manche Fahrt für die Katz, denn in der Hauptstadt Bissau gab es wahrlich nicht viel zu kaufen; man musste Glück haben, um irgendwo im Versteckten oder einem zufälligen Schwarzmarkt das zu finden, was man suchte. Hier herrschte der Zufall und nicht der Markt..

Ja, wie baut man ein Entwicklungsprojekt aus solcher Distanz zu jeglicher Versorgung auf? Gut, das Entwicklungsteam war mit vielen Containern gekommen. Jedoch alles, was man sich von Europa aus vorstellen konnte, war in dieser Gegend anders.

Ich wurde angewiesen, von der Hauptstadt weg ein Buschtaxi zu nehmen, um etwa eine knappe Stunde vom Projekt entfernt auszusteigen, von wo ich dann abgeholt würde. Man würde mich dann am folgenden Tag zurückbringen.

Ich fuhr also morgens gleich nach Tagesanbruch von Bissau weg. Ich hatte auf der Ladebrücke, zusammen mit zwei Ziegen und viel Gepäck, Platz zu nehmen. Als es etwa um halb sieben losging, fuhr der Chauffeur wie ein Verrückter in dieses schwierige Gelände hinaus. Er schien alle Steine, Wölbungen und Vertiefungen zu kennen und wich ihnen aus, so rasant, dass wir auf der Brücke hin und her geschmissen wurden. Es ging also auf und ab, hin und her, durcheinander mit den anderen 5 Mitfahrern auf der Brücke, dazwischen die zwei Ziegen, denen das zu gefallen schien.

Der Fahrer hatte uns bereits bei der Abfahrt mitgeteilt, dass er auf der Fahrt bis zur Grenze nur zweimal halten werde. Ein sicherer Halt war der, wo ich abgeholt würde. Diesen Punkt erreichten wir – sage und schreibe – eine Stunde zu früh. Ich dachte bloss: Wenigstens bin ich hier. Ich war so froh, endlich diese Ladebrücke hinter mir zu haben. Zufällig war eine Person vom Entwicklungsteam mit Zwiebeln auf dem lokalen Markt. Ihr wurde sofort die Ankunft eines unbekannten Weissen gemeldet. Sie übergab den Marktstand einer schwarzen Mitarbeiterin und fuhr mit mir sofort zum 6-köpfigen Team.

Nach herzlicher Begrüssung und einem Bier sassen wir alle zusammen. Dabei begann mein Rücken mehr und mehr zu schmerzen. Wovon ich auf der Brücke nichts gespürt hatte, setzte nun beim Sitzen ein: Rückenschmerzen. Diese nahmen kontinuierlich zu, bald konnte ich bei der Projektbesichtigung kaum mehr laufen. Wir kehrten also ins Zentrum zurück.

Gegen Abend schien es, als ob mein Rücken sich lähmen würde. Was tun? Denn morgens musste ich unbedingt in die Stadt zurück.

Die Schmerzen nahmen zu; die Bewegungsfreiheit nahm ab. Nach Sonnenuntergang fragte ich den Teamsprecher, ob er mir einen lokalen Arzt rufen könne. Er lachte laut, denn er meinte natürlich einen europäischen Arzt. „Nein, nein“, erwiderte ich. „Einen lokalen, bitte.“ Er hatte keine Ahnung; er wollte mich unbedingt von meinem Vorhaben abbringen. Ich meinte, man könne doch wenigstens den schwarzen Koch fragen. Natürlich kannte er einen N’ganga oder einen traditionellen Heiler. Ich bat ihn, diesen zu holen.

Der N’ganga kam. Der Koch dolmetschte. Seine erste Bemerkung nach der langen ehrfurchtsvollen Begrüssung lautete:: „Ja, diese moderne Rückenkrankheit kenn ich wohl. Die Leute, die zur Stadt fahren, kommen damit zurück.“

Er wies mich an, alles auszuziehen und mich mit dem Kopf nach unten auf den Boden hinzulegen. Er tastete meinen Körper ab, bat mich so liegen zu bleiben, bis er das gefunden habe, was er brauche. Er ging zur Nähe der Küche, zum Ablauf des Küchenwassers und fand dort afrikanische Nesseln. Er kam mit einem Bündel mit einigen Akazienzweigen und einer Staude von Kinkéliba dazwischen zurück

Dann begann er, auf meinen Rücken zu schlagen, während er rhythmisch etwas wisperte und ab und zu sang. Die ganze Zeremonie dauerte mindestens eine halbe Stunde. Es schmerzte grausam. Er hatte mich zum voraus angewiesen, auf keinen Fall zu schreien, sondern absolut still zu bleiben. Ich brachte es fertig.

Dann befahl er mir, mich zu erheben. Fast ein Wunder, es ging und ich spürte keine Schmerzen. „Unglaublich“, sagte ich nur, und er lächelte. Der Preis bestand aus drei Hühnern und einem kleinen Sack voll Zwiebeln, die im Projekt grossflächig angebaut wurden. Er gab mir die Rute und wies mich an, darauf zu schlafen.

Am Morgen fühlte ich mich so, als ob nichts geschehen wäre. Ich konnte seelenruhig zurückfahren, zumal es dieses Mal ein fast neuer und gut gefederter Pickup des Projekts war und ich auf dem Vordersitz Platz nehmen konnte.

Ich spürte keinen einzigen Schmerz mehr und genoss die Rückfahrt. Soll ich das eine Wunderheilung nennen?

Meine zwei Reisebegleiter Margrit und Seppi empfingen mich an unserer Unterkunft; sie konnten die Geschichte zuerst nicht glauben. Doch ich hatte einen Zeugen, der mich hergefahren hatte und vor seiner Weiterfahrt ein Bier mit uns trank; und ich hatte die Nesselspuren auf dem Rücken vorzuweisen. Seppi hänselte ein wenig und foppend sagte er: „Wart nur, bald kommt die Qual zurück. Das ist doch alles Quatsch. Der hat dich nur in eine afrikanische Narkose gesetzt.“

Ich beendigte den Besuch in einem sehr wohl verträglichen Zustand. Selbstverständlich war zu früheren Rückenschäden ein weiterer hinzugekommen, doch dieser ist wie ein magischer Wirbel aus Afrika zu all den anderen Wirbeln seit der Geburt in Europa,. dazwischen gekommen.

 

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Al Imfeld©
1. April 2009