AFRIKAS REGENMACHER
Als ich Ende der sechziger Jahre nach dem damaligen Rhodesien
kam, um die Sprache der Shona zu erlernen und ihre Bräuche zu
studieren, war ich immer wieder überrascht, wie harsch einzelne
Missionare über ein bestimmtes Verhalten herfielen und nicht im
geringsten einen Bezug zu einem ähnlichen Verhalten entweder in
ihrer Religion oder ihren Brauchtum zuhause zu sehen vermochten.
Viele dieser Missionare kamen aus Bergkantonen in der Schweiz.
Ob vom Wallis oder Luzerner Hinterland kannten sie sehr wohl den
Wettersegen, Bittprozessionen übers Feld oder Weihwasser gegen
Blitzschlag und Hagel.
Solche Rituale können wir in allen Ländern der Erde finden. Ich
habe mit grosser Faszination begonnen, Einflüssen aufs Wetter
durch bestimmte Menschen im südlichen Afrika und in der Sahelzone nachzugehen.
Es ist sehr schwer, als Europäer an Wettermacher heranzukommen.
Das liegt nicht bloss an der Sprache und es hat kaum viel mit
dem gängigen Ressentiment gegenüber den früheren Kolonialisten,
kurz Europäer genannt, zu tun. Wir sind nämlich bereits bei
einem Grundgesetz solchen Wettermachens: die von Dürre betroffenen Menschen können nur untereinander versöhnt und mit dem Glauben aller zusammen mit Hilfe des Wettermachers Regen erzeugen.
Kein Fremder und irgendwelche fremden Elemente haben in solchen
Zeremonien Platz. Selbst der Wettermacher kann nicht von zu weit
weg kommen. Er muss Lebensweise und Traditionen der betroffenen
Menschen gut kennen. Wenn er hergerufen wird, braucht er daher
längere Zeit, um in diese Welt hineinzukommen. Die Einswerdung
mit diesen Menschen ist die Voraussetzung, damit er Wolken zu
erzeugen oder zu bremsen und zum Regnen zu bringen vermag.
Ist er eingestimmt, dann fährt der Wettermacher meist das ganze
Dorf oder die Menschen einer Gegend, die sich kennen und manches
gemeinsam haben, hinaus aufs Feld. In der Nähe oder gar in ihrer
Mitte steht ein Baum oder mindestens ein Strauch. Dann wird
darum herum zu tanzen begonnen.
Der Ort der Zusammenkunft könnte aber auch ein Weiher, der noch
nicht ganz ausgetrocknet ist, oder eine den meisten Menschen
verborgene Wasserader sein.
Tjen, der kamerunische Wettermacher
An den kamerunischen Wettermacher Tjen, im Gebiet von Ngaundere,
kam ich über einen hohen Funktionär an der dortigen Universität heran.
Ich wurde ihm mit vielen Empfehlungen vorgestellt. Zögernd zunächst entwickelte sich nach und nach ein langes Gespräch. Das Eis war gebrochen, als ich Tjen verriet, dass wir im
luzernischen Napfgebiet ähnliche Phänomene kennen und dass ich
auf keinen Fall darüber lachen würde. Ich sagte ihm, dass es mir
ernst sei, die Bedeutung solcher Rituale kennen zu lernen. Da es
sie weltweit gäbe, könnte einfach nicht alles Unsinn sein.
Tjen meinte:
"Ich weiss nur, was ich tun muss. Es wurde mir von der Tradition
weitergegeben. Das Geheimnis ist in unserer Familie. Nur einer
daraus kann es tun und die Menschen hier wissen es. Mehr vermag
ich nicht zu sagen."
Tjen weiter:
"Ich weiss, dass es heute immer schwieriger wird, weil es keine
Einheit im Glauben mehr gibt. Wenn zuviele Zweifler dabei sind
und solche, die alles lächerlich machen, dann gelingt es nicht mehr."
Tjen später zu den Zweiflern:
"Blitze vermag ich mit einem solchen Publikum zu erzeugen, aber
keinen Regen mehr. Die Leute jedoch wollen meistens Regen. Wenn
nur noch wenige zu den Zeremonien kommen, dann ist die Gegenkraft zu gross und dann vermag ich nichts."
Über den Ursprung solcher Kraft ist sich Tjen ganz sicher:
"Nein, nicht von Gott direkt kommt diese Gabe! Wenn dem so wäre,
dann könnte es jederman versuchen. Nein, solche Kraft kommt von
den Ahnen - und zwar meinen Ahnen. Daher muss mit allen Nachbarn
und somit den anderen Ahnen Frieden gemacht werden. Alle müssen
sich vorerst versöhnen. Ohne Versöhnung vermag ich keinen Regen
zu erzeugen."
Tjen führt aus, wie er alle vielleicht mit dem letzten Wasser
bespritzen und so symbolisch waschen muss, damit es Regen gibt.
"Eventuell", gesteht er zu, "vermag bereits das den Regen anzuziehen."
Tjen belehrt mich:
"Trockenheit und Dürre sind von Ahnen mitverursacht. Sie
grollen und ihr Zorn hält Regenwolken zurück."
Tjen schafft also eine Disposition, indem er versöhnt und Spannung aufhebt. Er schafft Ordnung und in eine solche Ordnung
hinein gehört auch der Regen. Tjen: "Zu Befriedung muss auch die
Dürre verschwinden."
Er geht weiter; er sucht einen Punkt, von wo aus Regen angezogen
werden kann, denn Regen verbindet Himmel und Erde. Daher sind
Bäume wichtig, aber auch zum Himmel geworfene Hände der Menschen. Das Wasser, aber auch der aus dem Tanz entstehende Schweiss sind wichtig, weil Gleiches sich anzieht.
Tjen sagt:
"Wasser zieht Wasser an. Schweiss vermag daher in bestimmten
Lagen Regen zu erzeugen. Wichtig ist zudem Wasser am oder im
Boden, also ein Teich oder eine Ader."
Tjen beschwichtigt mich, als ich ob einer möglichen Wolkenbildung zweifle:
"Es gibt selbst an einem Nichtregentag immer kleine Wolken. In
der Regenzeremonie halten wir sie mit unseren Händen fest, indem
wir mit erhobenen Armen flehen und so beten. Wir blasen sie auf
und füllen sie mit unserem Schweiss. Und wir tanzen, damit sie
in den Wirbel des Stillstands geraten, sich vergessen und plötzlich ihr Wasser ausgiessen."
So also geschieht Regen.
Tjen fügt am Schluss traurig bei:
"Früher war es leichter. Heute gelingt es kaum mehr."
Im Zimbabwe
In der Shona-Tradition gibt es mehrere Regenlieder, die früher
der Regenmacher gesungen hat. Hier ein Beispiel:
Kleine Wolke
ich rufe dich
flieg mit dem Wind!
Dreh dich
schwill an
und gib mir
ein wenig Tau!
Kleine Wolke
spende ein wenig
von deinem Tau!
Michael Gelfand, ein Erforscher der Shona-Traditionen, stellt
fest: "Man glaubt felsenfest, dass all diejenigen, die entweder
den Stammesgeist Mhondoro vergessen oder die Schutzgeister Vadzimu vernachlässigen, früher oder später mit Trockenheit und Dürre bestraft werden. Zuerst kommt ein Jahr mit wenig Regen,
und dann eine wirkliche Trockenheit."
Gelfand gibt ein Beispiel aus dem Jahre 1947. Das Medium Chaminuka hatte Trockenheit vorausgesagt und sein Volk vor Sittenzerfall gewarnt. Es kam so. Die Leute liefen zu ihm und er führte sie zum verstorbenen Medium Muchetera. Der Stammes-Geist beklagte sich und verlangte Genugtuung. Das Volk versprach, sich zu bessern und kehrte heim. Der Regen kam. Doch nach zwei Tagen war er schon zu ende. Warum? Wieder ging man zu Chaminuka. Seine Antwort war kurz und träf: "Die Ahnen wollten euch zeigen, dass es sie gibt."
Sie gingen nach Hause und es begann wieder zu regnen.
Regenzeremonien sind immer in irgendeiner Form Versöhnungsriten:
mit Ahnen, untereinander und auch mit der Natur. Das Wetter hat
nach diesem Glauben zunächst einmal einen engen Zusammenhang mit
dem Verhalten der Menschen unter- und miteinander. Die Wettermacher sind daher mehr als Regen-Zauberer. Sie sind Vermittler unter Menschen. Aber mehr als das: sie vermitteln mit Ahnen und zwischen ihnen und Erde. Sie vertreten darüber hinaus die Rechte der Natur, die immer wieder von Menschen ausgebeutet wird.
Wenn ein Wettermacher über das Heute klagt, ist das nicht bloss Nostalgie, sondern auch Anklage an seine Mitmenschen: "Ihr selbst seid an der Dürre schuld!"
Ein Erlebnis in Mali
Während der grossen Dürre in den Siebzigerjahren besuchte ich die drei Sahell Länder Burkina Faso, Mali und Niger. Eines Tages fuhren wir zu viert hinaus, wo es seit zwei, drei Jahren nicht mehr geregnet hatte. Natürlich hatte alles in der Gegend von den zwei Europäern, die nicht nur Hilfe bringen, sondern auch verstehen wollten, gehört. Wir wurden unerwartet angehalten. Ein alter Mann fragte, ob wir nicht an einer wichtigen Zeremonie teilnehmen könnten. Ohne die anderen zu befragen, sagte ich spontan ja.
Es stellte sich bald heraus, dass es eine Regenzeremonie war.
Etwa 50 Menschen waren versammelt. Ein alter Heiler und Regenmacher war anwesend. Er hatte den Leuten scheinbar gesagt, dass es erst wieder regnen werde, wenn sie sich mit den Europäern versöhnen werden.
Da kamen wir gerade richtig.
Alle waren so nett mit uns. Wir selbst wussten nicht, wie wir uns benehmen sollten. Wir kamen uns wie griechische Götter in Afrika vor. Wir tanzten mit - ohne zu verstehen. Singen konnten
wir ohnehin nicht, höchstens Summen. Alles war für uns verwirrend und fast komisch. Dennoch machten wir zur Befriedigung aller mit.
Plötzlich schrie eine Frau: "Eine Wolke, eine Wolke!" Andere stimmten mit ein: "Hebt sie fest, hebt sie fest!" Alle erhoben die Arme und begannen wohl zu flehen: "Komm, komm hernieder, du Regen, der du uns vergessen hast!"
"Schau! Schau, ein Wunder!" riefen einige aus der Schar wie aus einer Kehle. Es begann zu tropfen. Es regnete leicht. Wenig, aber doch etwas. Schon das und auch nur soviel war ein Zeichen und grosser Trost. Der Bann war gebrochen. Es hiess überzeugt:
"Einmal hier angenässt, werden ihre Geschwister nachfolgen."
Es hatte natürlich nur an einem ganz kleinen Ort etwas getropft.
Am nächsten Tag jedoch regnete es leicht in einer grösseren Umgebung. Der Ort von Gestern lag genau in der Mitte.
Gottlob, fuhren wir schon am Abend weg. Wir hörten später, dass es in jener Gegend ganz gut geregnet hätte.
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Al Imfeld©
15. Febr. 1995