Bei den meisten von uns in Europa herrscht die Annahme vor, dass es alten Menschen in Afrika gut gehe, denn sie würden respektiert und verehrt. Man meint, dass Altsein Weisheit bedeutet und dass Alte gefragt sind.
Doch auch in Afrika geht es bei allem durcheinander. Die Alterssicherung durch die Grossfamilie ist zum Mythos geworden. Heute gibt es nur noch – laut Studien aus Burkina Faso, Ghana und Kenya – bei etwa 5 Prozent eine soziale Sicherheit im Alter. Es ist eine Folge der Armut, die meist wegen des existierenden Mythos nicht an den Tag kommt. Das Netz der Grossfamilie ist zerrissen – sei es auf dem Land und erst recht in den Städten.
In Burkina Faso forscht seit 20 Jahren Claudia Roth, Professorin für Ethnologie an der Universität Luzern. Sie war Co-Leiterin des Nationalfondsprojekts „Belastete Generationenbeziehungen im interkulturellen Vergleich (Europa-Afrika)“. Die Studie weist nach, dass alte Frauen besonders im Nachteil sind. Alten Frauen fehlt jede Verhandlungsmacht und jegliche soziale Sicherheit. In allen Ländern Afrikas zerfallen kontinuierlich die alten Werte, weil eine andere soziale, ökonomische und politische Einzug hält. Der Druck der Grossfamilie nimmt mit der Urbanisierung ab; die Jungen fliehen in ihre Einsamkeit. Wer nichts mehr hat und verarmt, verliert die Verwandten: Man schämt sich und man weicht sich gegenseitig aus.
AIDS hat dazu beigetragen, die sozialeVerwerfung nicht nur zu beschleunigen, sondern Menschen innerhalb der Gesellschaft voneinander und untereinander zu distanzieren.
Eine Folge davon mag sein, dass Polygamie zunimmt; ältere Männer sich eine jüngere Frau dazunehmen. Diese Form der Hilflosigkeit, die als Selbsthilfe daherkommt, endet in einer Verletzung der Menschenwürde der Frau,
Folge für den Westen und eine strukturell orientierte Entwicklungszusammenarbeit heisst also, dass wir alle zusammen eine Altersversorgung oder –abstützung aufzubauen haben.
Christiana Donkor, die über 20 Jahre in Deutschland Altersbetreuung betrieb, war schockiert als sie vor 5 Jahren nach Ghana zurückkehrte und feststellen musste, dass eine neue Form der Altersbetreuung für alle Länder Afrikas radikal angegangen werden muss. Momentan baut sie eine Altenbegegnungsstätte in Ho/Ghana (im Eweland) auf. Sie braucht Geld, um so ein Projekt weiterzuführen (
Frau Donkor beteiligte sich auch an der Studie in Zimbabwe. Es war damals die erste auf dem afrikanischen Kontinent gross angelegte Forschung.
Eine andere Ghanaerin, Charlotte Bannermann, war 12 Jahre in der Altersbetreuung im Kt. Schaffhausen tätig. Als sie ihre Heimat besuchte, erschrak sie sehr. Früher hatte auch sie angenommen, dass eine solche Pflege und Betreuung in Afrika nicht notwenig sei, nun realisierte sie, dass momentan die Dringlichkeit alle Vorstellungen übersteigt. „Ghana ist nicht mehr das, was ich in meinem Kopf hatte“, bemerkte sie.
&&&
Al Imfeld, 04. 2009