Afrika offenbart auch traurige Vergangenheiten
Es herrscht der Mythos von einer harmonischen und friedlichen afrikanischen Vergangenheit, die erst Sklaverei und Kolonialismus zerstört haben. Für engagierte Europäer war es klar, dass sie die Schuld der Zerstörung auf sich nahmen, sich schämten und irgendwie – wenn auch vage – Restitution verlangten. Sie wollten die Gutmenschen sein und auf jeden Fall besser als ihre Vorfahren und Väter werden. Doch wie? Bis heute auf jedenfall gelang es keinem und keiner.
Asiatische Pagen
Afrika-Historiker sind bis heute bestimmten Themen – direkt oder indirekt - ausgewichen oder sie verschleiert, wie etwa den fernöstlichen und zentralasiatischen Sklavenhandel. Man verschönte das ganze Humanverbrechen mit idyllischen Haremwächtern, (beinahe privilegierten) Teilnehmern an „Tausend und einer Nacht“. Die Sklaven nach dem Osten wurden nicht Sklaven sondern Pagen genannt.
Man muss sachlich eingestehen, dass die Suaheli-Kultur eine Handelskultur war, in dem Menschenhandel eingeschlossen war. Die Araber betrachteten wie die Europäer Neger oder Schwarze nie als vollwertige Menschen. Sie waren nicht nur nicht getauft, sondern auch schwarz, Ham’scher Herkunft oder – wenigstens in der Tradition der Sufiten – Ungestalten, Ungetüme, verstümmelte Geister oder auf dem Weg zur menschlichen Geburt von andern bösen Geistern als Spottgestalten oder Plaggeister in diese Welt gesetzt.
Da diese afrikanischen Menschen an eine Oberklasse, in Fürsten- und Kaiserpaläste als Wächter und Diener gingen, besassen sie etwas Prestige, mehr als die Plantagensklaven nach dem Westen. Doch mehr Prestige bedeutete nicht unbedingt bessere Behandlung. Was alles in diesen respektablen Häusern und Höfen mit dem Personal vor sich ging, darüber wissen wir wenig, ja, beinahe nichts.
Volk gegen Volk, Stamm gegen Stamm
Die Jahrhunderte lange Sklavenjagd im Innern des Kontinents zerstörte auch das Zusammenleben neben- und zwischeneinander.
Afrikas Kleinvölker, auch Stämme genannt, lebten gar nicht friedlich nebeneinander, denn
1. Die arabischen Sklavenhändler, die regelmässig, meist einmal im Jahr über ihre Routen, die je nach geografischer Lage quer durch den Kontinent nach den Sklavenhäfen Gorée, Porto Novo, Duala, Cabinda und Luanda führten, heimgesucht wurden, forderten eine bestimmte Zahl zusammen mit Säcken von Mais. Woher diese Menschen genommen wurden, war den Händlern egal. Um sich also zu schützen, holten einige Stämme diese Menschentribute bei den Nachbarn. Solches musste zu Streit oder gar Kleinkrieg führen.
2. Europäer konnten erst nach 1850 ins Innere des Kontinents eindringen, denn dieses war von arabischen und islamischen Händlern kontrolliert. Die Europäer (Dänen, Portugiesen, Franzosen, Briten) beherrschten die Küste, von wo aus die Sklaven nach Übersee verschafft wurden. Nur wenige entkamen in den Häfen. Gruppen war es unmöglich. Daher haben wir keine grösseren Einflüsse entsprungener Sklaven an der Küste..
3. Da jedes Kleinvolk mehrere Nachbarn hatte, kam es vor, dass zwei sich zusammenschlossen und von Dritten ihre Abgabe holten. Es kam daher zu Bündnissen, aber auch Feinden. Der Sklavenhandel löste also grausame Spannungen aus; vereinte einerseits, entzweite andererseits.
4. Man hat sich lange gefragt, warum sich Sklaven in Brasilien oder in der Karibik als Nachfahren von Yoruba oder von Ashanti bezeichneten, obwohl Historiker wissen, dass ausgerechnet von diesen 2 Völkern (aber auch anderen) keine Sklaven genommen wurden. Es können drei Erklärungen vorgebracht werden: 1. Die Ashanti oder Yoruba hatten sich eben Nachbarn geschnappt und diese als Mitglieder ihres Volks verkauft. 2. Die Sklaven identifizierten sich mit den Starken; diese Völker wurden zu Vorbildern. Als 3. Möglichkeit kommt hinzu, dass die Sklaven von irgendeinem Stamm sich ihre (eigene) Ashanti- oder Yoruba- Kultur schufen. Als ein Produkt der Vorstellung muss man das bezeichnen. Es vollzieht sich wirklich eine kulturell-religiöse Seelenwanderung.
5. In der Ferne entstehen leicht geheimnisvolle Erinnerungen, die sich mit den neuen Erfahrungen vermischen. Das ist etwa auch der Fall beim Voudou, das nicht direkt aus Benin (Dahomey) stammt, nicht urafrikanisch ist, sondern eine Mischkultur aus afrikanischen Hochstilisierungen und Vorstellungen zusammen mit der religiösen Praxis der Sklavenherren und ihrer Welt.
6. Etwas anderes darf nicht übersehen werden. Jedes Volk suchte innerhalb die Kleinversager und/oder Kleinkriminellen, Sozialfälle oder verdächtigen Frauen (schon damals gab es sie in den Köpfen – die Hexen) aus, um sie als Sklaven abzuschieben. Statt auszusetzen oder verwahren, schob man sie in die Sklaverei ab.
7. Eine solche Konstellation der traurigen Nachwirkungen hat der ghanaische Schriftsteller, der Coloured Yaw Boateng in seinem Roman The Return (HEB, London 1977, AWS 186) beschrieben. Die Handlung spielt anfangs 1800, greift jedoch in die Vergangenheit zurück. Er skizziert historische Spannungen, die ohne Sklavengeschichte unverständlich sind. (Boateng: Maurice B. wurde Schweizer und lebt heute im Kt. Fribourg)
8. Als Nachtrag. Warum ging Livingstone von Malawi aus? Er galt als grosser Kämpfer für die Abschaffung der innerafrikanischen Sklaverei. Das heutige Malawi, vorher Nyasaland, war einst der Beginn der südlichsten Sklavenroute, die entweder nach Luanda oder Cabinda führte. Welche mörderischen Verhältnisse damals herrschten, erfuhr Livingstone auf seiner Suche nach den Quellen des Nils. (Man lese seine Tagebücher.)
Ahoba
Der aus Togo stammende und in Köln lebende Maler und Schriftsteller El Loko beschreibt in seinem historischen Roman Das Kuckucksei (2010) etwas, das bis anhin kaum bekannt war und bloss teilweise angenommen werden musste. Es ist Ahoba (je nach Sprache ein anderes Wort) was bedeutet, dass etwas gegen ein anderes getauscht wird. Der Tausch war auf Zeit festgelegt. Es wurden zuerst wohl nur Gegenstände wie Instrumente und Stoffe getauscht; etwas, was die Menschen im Alltag brauchten. Mit der Zeit übertrug man Ahoba auch auf Menschen. Wann? Das wissen wir nicht; angenommen wird, dass die Urform bereits vor der Sklavenzeit in gewissen Gegenden Afrikas vorhanden war.
Ahoba war eigentlich zuerst ein Tausch auf Zeit, die festgelegt war. Dann wurde daraus ein Leihgeschäft. Der Verleiher nahm aber immer mehr, als der Gegenstand wert war. So entstanden Schulden, die sehr oft nicht mehr rückzahlbar waren. Eine spätere Stufe bestand dann entweder im Pfand eines Menschen oder Menschen, die durch Arbeit eine Leistung oder auch Land abzahlen mussten.
Mit der Zeit hat man Töchter und Söhne ausgeliehen und hoffte, sie nach 2 bis 3 Jahren auszulösen. In vielen Fällen kam es jedoch anders, denn Schulden sind bei allen Völkern der Welt ein gefrässig Ding. Viele überschätzten sich schlichtweg; man rutschte ganz im Stillen in ein unheimliches Abhängigkeitsverhältnis.
Solche Ahoba Abmachungen gingen manchmal über Generationen hin; ja, man verschwieg sie sogar; doch jemand, entweder der Älteste oder der Priester, wusste stets davon.
Viele Gesellschaften Westafrikas praktizierten Ahoba. Man schwieg darüber. So kam es, dass selbst Ethnologen nichts davon erfuhren. Man sprach über Gegenleistung; man verband es mit dem Brautpreis. Die ausgeliehenen Menschen waren wie ein Teil der Familie; sie lebten versteckt. Da es ein Tabu war, wurden die Verhältnisse ab und zu so konfus, dass es vorkommen konnte, dass ein ganzes Dorf in irgendeiner Form von anderen abhängig war. Ich bin in Mali auf dieses Phänomen gestossen, als ich über manche Umwege vernahm, dass „alle Bauern hier versklavt“ seien.
In der Sklavenzeit ging man dazu über, die „Opfer“ nicht nur innerhalb der heimischen Familien zu platzieren, sondern man gab Menschen in die Ferne weg. So wurde der Begriff Ahoba erweitert und es kam zu Amepleple. Dieser Begriff steht für einen gekauften Mensch. Der Amepleple – Mensch kam für immer weg, wurde abgenabelt.
Amepleple – Menschen mussten neue Verbindungen schaffen und so entstanden sozusagen auf einer anderen Ebene Yoruba oder Ashanti,
Die jüngste Tochter bei den Somali
Wir Europäer, selbst die Ethnologen, kamen vielen afrikanischen Verhaltensweisen nie auf den Grund. Mehreres war auf eigenartige Weise tabuisiert, so sehr gar, dass manche in der Grossfamilie nicht ins Geheimnis hineingenommen waren. Man schwieg, schwieg und wollte gar nicht wissen. Das hat scheinbar auch etwas mit bestimmten afrikanischen Völkern zu tun.
Bei der Betreuung somalischer Asylanten fiel auf, dass bei den Nachzugsfamilien die jüngste Tochter nicht zur Schule geschickt wurde und praktisch als Hauskraft oder eher Dienstmagd ausgenutzt wurde. Was stand dahinter?
Familien, die es sich leisten konnten, nahmen von armen Familien eine Tochter in Dienst; sie wurde auf somalische Art adoptiert. Sie gehörten also zur Familie, aber nahmen nicht teil an den Privilegien. Man schickte sie nicht zu Schule; sie erhielten keine Ausbildung; sie blieben die Jüngste, d.h. die Magd der Familie.
Schluss
Diese kurzen und wenigen Einblicke in afrikanische Verhaltensweisen zeigen, dass es in allen Gesellschaften Abhängigkeiten und Ausbeutereien gab, denn solches Gebaren ist nicht ausschliesslich westlich, sondern gehört zu den Schwächen der Menschen.
Einen isoliert und absolut glücklichen Zustand gab es auch in Afrika nie. Der afrikanische Mensch wurde nicht erst durch die Sklaventreiber und Kolonialisten „böse“.
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Al Imfeld, Juni 2009