Es wird gesagt,
die Kolonialisten hätten den Afrikanern die Demokratie beigebracht und jetzt würden sie wieder in den Barbarismus zurückfallen..
Doch die Kolonialisten taten das Gegenteil.
Sie liessen keine Presse zu, keine Auseinandersetzung mit dem Kolonialsystem, keine Kritik, keine Opposition. Solches wurde niedergeknüppelt.
Sie liessen alle Kritiker überschatten und sogar ausschalten.
Sie mobbten; schwärzten sie an; hängten ihnen ein Verbrechen an.
Beispiel: die verlogene Abstimmung 1958 der Franzosen in den frankophonen Kolonien. FR machte alles, um die sog. Bevölkerung auf seiner Seite zu haben, aus Kolonien sollten Übersee-Territorien unter dem Schutz FRs (Protektorate) werden. Alle fielen darauf herein ausser Guinea unter Sekou Touré. Die Rache war bitter.
Es wird gesagt,
die Afrikaner würden in Tribalismus zurückfallen;
doch der Kolonialist spielte den Stamm hoch, um die Gegensätze auszuspielen. Der europäische Faschismus des frühen 19. Jahrhunderts wirkte nachhaltig nach.
Die Ethnologen spielten mit. Die Kolonialmacht liess sie kommen und sagten, studiert diesen oder diesen Stamm, die Nuer, die Shona, die Bakonge, etc.
Ein Meister war Edward Evans-Pritchard, der zuerst die Azande studierte, später den Klassiker über die Nuer verfasste.
Die Ethnologen gingen von falschen Voraussetzungen aus; sie realisierten nicht, dass es im 19. Jahrhundert bereits keine reinen Stämme mehr gab; bereits damals waren die Gesellschaften durchmischt. Im Osten, im Bereich der grossen Seen, gibt es die Jahrhunderte lange Durchmischung von Bantu und Luo. Im Westen gab es die Wanderung der Küste entlang, aber auch die Migration von der Sahelzone an die Küste des Atlantischen Ozeans.
Die ethnologischen Studien wirken bis heute nach.
Es wird gesagt,
die heutigen Chiefs und Politiker seien korrupt; das gesamte afrikanische Sozialsystem sei kaputt.
Doch was haben die Briten getan? Mit ihrem System divide and impera liessen sie bloss die Häuptlinge zu oder an der Macht, die willfährig waren. Sie setzten beliebig neue Häuptlinge ein. Diese Chiefs waren nicht mehr im alten Sinn sacred sondern machtgierig und ganz weltlich. Durch diesen kolonialen Eingriff wurde bis heute das gesamte System der Tradition zerstört.
Es wird gesagt
die Afrikaner wollen nicht mit ihresgleichen oder gingen lieber mit den Europäern.
Europäer mit den unterschiedlichsten Geheimdiensten im Hintergrund betrieben systematisch Ab- und Aufspaltungen.
Afrikanische Wissenschaftler sprechen von 2 Komplexen:
the Buthelezi complex;
the Katanga complex (heute Shaba) mit Moise Tschombe (Tshombé); systematisch gegen Lumumba und Dag Hammarskjöld.
Unita unter Savimbi (in Lausanne ausgebildet, Reagan hofiert ihm).
Das sind von aussen gesteuerte Abspaltungsbewegungen , von den verschiedenen Geheimdienste mit Hilfe einer ambitiösen oder machthungrigen Person. Die Europäer werden sagen können: Seht, sie selbst sind sich ja uneins; die Afrikaner, wollen das oder jenen nicht.
Es wird gesagt,
der Afrikaner sei ein Bauer und hätte kaum Verständnis für grosse Politik ausser für seine eigenen Belange.
Die afrikanische Landwirtschaft wurde durch die Sklavenjagden total über den Haufen geworfen. 1504 kam der Mais auf den Kontinent und wurde bei der Überschiffung der Sklaven über den Atlantik eingesetzt. Die gejagten Sklaven mussten zur eigenen Versorgung einen Sack Mais mitnehmen.
Männer wurden jährlich im Innern des Kontinents von arabischen Sklavenhändlern gejagt. An der Küste des Atlantiks entstanden grossen Einschiffungshäfen: Insel Gorée im heutigen Senegal, von Cape Coast- Sekondi-Takoradi an der Goldküste bis nach Porto Nuvo an der Sklavenküste von Benin, bis nach Duala (Kamerun) und Cabinda/Angola.
Diese Ereignisse erschütterten die traditionellen Agrarkulturen, führten zu einer sozialen Umschichtung (zu viele Frauen, wenige Männer) und einem innerkontinentalen Kleinkrieg zwischen den Völkern, denn jedes Volk versuchte sich zu schützen und holte sich die Pflicht-Abgabe beim Nachbarn.
Es wird gesagt,
viele Völker, vor allem die kleinen, seien froh gewesen, dass die Europäer kamen und sie in Schutz nahmen.
Die Yoruba oder die Ashanti (Akan-Völker) wussten sich zu wehren. In Ghana ging es auf die Ewe los.
Die Kolonialisten machten den transkontinentalen Sklaventreiben ein Ende.
Doch eine neue Form setzte ein, nämlich die Zwangsarbeit vor Ort. Da sich viele wehrten oder weigerten, zur Arbeit entweder auf den Farmen oder in den Minen zu kommen, wurde die Ersatzsteuer und somit die Geldwirtschaft eingeführt. Jeder Mann musste Steuern bezahlen, aber da es vorher kein Geld gab, mussten Teile der Familie bei den Europäern arbeiten gehen.
Zur Ernährung gab es für die Natives oder „Einheimischen“ Maispappe, Maisbrei, Sadza. Dieser Mais war einst gelb, heute essen Afrikaner bloss noch weissen Mais.
Es wird gesagt,
Afrikas Kleinvölker haben ein gespanntes Verhältnis untereinander.
Aufgrund der Geschichte wirkt sich manches bis heute nach:
die Ashanti schauen auf die Ewe herunter;
die Kikuyu verstehen sich nicht mit den Luo oder Kalenjin,
Shona sind skeptisch gegenüber Ndebele,
Ibo mögen die Yoruba nicht. etc.
Hinter all diesen noch immer vorhandenen muss der Geschichte nachgegangen werden.
- die Luo drangen vom Sudan aus bei Dürre oder Not nach Kenya ein; die Bantu versuchten sie zwar immer wieder zu integrieren; gaben ihnen etwas Land zum Überleben, aber es war natürlich nie das beste Land.
- wie gesagt, wurden die Ewe von den Ashanti missbraucht und wahrscheinlich um diese Ungerechtigkeit herabzumindern, minderten die Ashanti den „Wert* der Ewe herunter.
- die Ndebele sind im Shona-Land oder heutigem Zimbabwe von Südafrika aus eingewandert; damit entgingen sie den blutigen Auseinandersetzungen innerhalb der Zulu, die von Chaka vereint wurden.
- Ibo haben sich dem Christentum schon früh zugewandt; die Yoruba widerstanden der Christianisierung.
- es gibt auch Formen des Zusammenlebens, die einst Hand in Hand gingen: etwa zwischen Hutu und Tutsi, Fulani und Hausa. Doch heute geht es nicht mehr. Warum? Die Bewirtschaftung des Landes hat sich radikal verändert; heute kann man nicht mehr mit dem Vieh über das Land anderer ziehen.
Schluss
Und so hat jedes Problem von heute seine Wurzeln oder Vorgeschichte entweder in der Sklaven- oder Kolonialzeit. Diese zwei sind die eindrücklichsten Vorgänge in der Vergangenheit. Darüber kommt niemand hinweg. Viele reden vom traumatisierten Afrikaner. Nichts wurde aufgearbeitet. Man lebt geschichtslos und mit Mythen. Das reicht für eine heutige Gesellschaft nicht mehr.
Die Vorbereitung einer langsamen Aufarbeitung muss hier im Norden beginnen. Sie bedingt eine ganz andere Berichterstattung. Eine a-historische Berichterstattung ist verlogen, denn sie gibt stets vor, dass sie die einzig Schuldigen sind.
Tragische Ereignisse haben ihre lange Vorgeschichte, verknüpft mit Mythen und Legenden, mit Glauben und etwas Nachdenklichkeit.
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Al Imfeld
Vortrag beim Emeritenstamm, Winterthur
22. Febr. 2010